Unsere Reise mit Jaël

Eltern zu werden bedeutet, sich auf eine Abenteuerreise mit den Kindern zu begeben. Man weiß aber auch, dass sich auf dieser Reise irgendwann die Wege trennen werden und man die erwachsenen Kinder ziehen lassen muss. Denn wie sagte Goethe so schön: „Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel.”

Bereits vor Jaëls Geburt wussten wir, dass unsere Reise mit ihr leider nicht so lange dauern wird wie bei anderen Eltern. Wir haben diesen Ablösungsprozess vom ersten Tag an lernen müssen. Dass uns mit ihr viel mehr Zeit vergönnt ist als von den Ärzten und Statistiken prognostiziert wurde, ist mehr als ein Wunder. Dieses tägliche Geschenk ist uns bewusst, und wir genießen Jaël, so lange sie bei uns ist.

Besonders seit Juli 2013 merken wir, dass Jaëls Koffer für ihre Abreise gepackt zu sein scheinen. Leider hat sie in dieser Zeit ziemlich abgebaut, so dass wir sie letzten Sommer von der Schulpflicht befreien ließen. Wie lange Jaël noch bei uns sein wird, wissen wir nicht, aber diese Zeit soll sie so schön und stressfrei wie möglich erleben. Sehr intensiv ist diese Zeit, die wir gemeinsam verbringen. Deshalb bin ich auch dankbar, dass ich zu Hause bei ihr bleiben kann.
Manchmal schläft Jaël viel. An manchen Tagen können wir sie nur zu ihren Mahlzeiten wecken. Nach dem Essen bedankt sie sich noch mit einer liebevollen Umarmung, um danach bis zur nächsten Mahlzeit weiterzuschlafen.

Es gibt auch gute Tage. Aber diese sind leider eine Seltenheit geworden. Und sie strengen Jaël so an, dass sie am nächsten Tag noch mehr schläft. Natürlich ist es für uns als Eltern manchmal unerträglich zu sehen, wie das Leben unsere geliebte Tochter mehr und mehr verlässt. Unser Schmerz lässt sich nicht in Worte fassen. Aber Jaëls enormer Lebenswille und ihre Liebe geben uns die Kraft, sie zu begleiten und einfach die guten Momente zu genießen. Auch in Momenten, in denen sie keine Kraft hat, die Augen offen zu halten, umarmt sie uns ganz fest. Vielleicht will sie uns damit auch sagen “Ich will noch nicht gehen.”

Jaël auf ihrer Reise begleiten zu dürfen ist für uns ein Privileg. Wir mussten sehr früh lernen loszulassen. Jaël wird irgendwann ihre Flügel benutzen. Dann werden wir sie ziehen lassen. In ein neues Leben. In das schönste Leben. Wir glauben, dass wir sie im Himmel wieder sehen werden, deshalb wird der Trennungsschmerz zwar sehr groß sein, aber wir werden uns auf das Wiedersehen und das Fest, das wir dann gemeinsam feiern, freuen.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Verena Ecker

    Ihr habt Ihr – nach allem was ich gelesen hab, und nach den liebevollen Worten, die Ihr hier schreibt – sich ihre Reise so schön gemacht wie nur irgend möglich. Nicht umsonst ist sie schon so lange bei Euch geblieben. Dass Ihr ihr zeigt, dass sie gehen darf, dass Ihr wahrnehmt, dass ihre Koffer gepackt zu sein scheinen, ist das größte Geschenk, dass Ihr ihr noch machen könnt. Eure Geschichte beeindruckt mich immer wieder sehr. Und Jaël ist ein wunderbares, bildhübsches Mädchen mit einer bezaubernden Ausstrahlung. Ich wünsche Euch, dass die Zeit, die Euch zusammen bleibt, mit unendlich viel Liebe erfüllt sein wird. Dass sie so müde ist und Ihr seht, wie die Kräfte sie verlassen, muss unvorstellbar schmerzvoll sein. Und doch verbinde ich damit zumindest die Hoffnung, dass Ihr Abschied, wenn er denn irgendwann kommen muss, undramatisch und schmerzfrei sein darf. Kein “Notfall”, sondern ein sanftes Hinübergleiten in ein Leben, in dem sie all das können wird, was ihr in diesem verwehrt war. Und dass Ihr bewusst und in Frieden Abschied nehmen dürft. Ich wünsche Euch alles Glück dieser Erde, auch wenn das Wort “Glück” so unangebracht scheint. Ich hoffe von Herzen, dass Ihr versteht, was ich damit sagen will. Alles Gute an Euch; meine Gedanken sind immer wieder bei Euch…

  2. Jaëls Mama

    Vielen lieben Dank für die mitfühlenden Worte und Gedanken, liebe Verena! Es tut gut zu wissen, dass Menschen Jaël und uns auf dieser Reise so liebevoll begleiten. Danke dafür!

  3. Uta Close

    Liebe Jael mit Mama und Papa,

    am 15. September habe ich sehr an Euch gedacht. Erst gestern habe ich das neue Foto von Jael auf Eurer Website gesehen, habe mich so darueber gefreut! Eure Liebe, Kraft, Dankbarkeit und ganze Einstellung sind bewundernswert und ich wuensche Euch ganz viel Kraft fuer die naechste Zeit. Dietrich Bonhoeffer sagte, Dankbarkeit macht das Leben erst reich, und die Erinnerungen, das vergangene Schoene, wie er sagte, traegt man – durch Dankbarkeit – wie einen kostbaren Schatz in sich.
    Ich habe vor ein paar Monaten schon mal geschrieben und habe vergessen zu sagen, dass wir auf einer schottischen Insel wohnen, in Rothesay auf der Insel Bute. Leider werden Kinder mit Trisomie 18 in Grossbritannien nicht von den Aerzten behandelt. Unsere Nicola war drei Monate lang im Krankenhaus, in dem sie auf die Welt kam, bis sie stabil genug war, um bei uns zu Hause zu sein. Dann wurde uns gesagt, sie koenne nicht mehr im Kinderkrankenhaus behandelt werden.
    Alle Liebe fuer Euch, ich denke ganz oft an Euch mit guten Wuenschen. Und wenn Ihr uns irgendwann mal in Schottland besuchen wollt, seid Ihr ganz herzlich willkommen.
    Uta

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